Skip to main content

Das gefährliche Geschäft mit Fake-Ratgebern bei Amazon

Wer etwa unter psychischen Problemen leidet, Gewicht verlieren möchte oder Hilfestellung bei Erziehungsfragen braucht, greift oft und gerne zu Ratgeber-Literatur. Ausgewiesene Experten teilen darin ihr Fachwissen mit der Leserschaft und geben kompetente Hilfe zur Selbsthilfe – so sollte es zumindest sein. Tatsächlich kommen im Digital-Bereich ein Großteil der beliebtesten Bücher nur scheinbar von studierten Fachleuten, frei erfundene Studienabschlüsse und Berufserfahrungen sind die Regel. Für Amazon ist das kein Problem.

Erfundene Abschlüsse, erfundene Berufserfahrungen

Autorenseite von Leoni Herzig

Leoni Herzig hat für ihre knapp 33 Jahre schon eine beeindruckende Autorenlaufbahn vorzuweisen. Die gebürtige Aschaffenburgerin kommt im Kindle Store auf 13 Veröffentlichungen im Bereich Persönlichkeitsentwicklung mit vielen Hundert begeisterten 5-Sterne-Rezensionen und zusammengenommen Verkäufen mindestens im fünfstelligen Bereich. Herzig gibt in ihren Büchern etwa "Ratschläge für ein zufriedeneres und glücklicheres Leben", nennt "8 Zutaten für eine perfekte Beziehung & Ehe" und "Tipps um Selbstzweifel abzulegen"

Für ihre Ratschläge in sensiblen psychischen Bereichen qualifiziert Leoni Herzig ein sozialwissenschaftliches Studium in London. "Außerdem ist Leoni noch ausgebildete Persönlichkeitstrainerin und europaweit tätig", heißt es weiter auf ihrer Autorenseite sowie in der "Über den Autor" Box auf allen Artikelseiten.

Ratsuchende können sich also sicher sein, wissenschaftlich fundierte Informationen zu bekommen. Wenn der Lebenslauf nicht komplett erfunden wäre. Die Person "Leoni Herzig" ist ein reines Kunstprodukt, ihr Profilfoto kommt aus einer Bilderdatenbank. Und auch die Qualität der Ratgeber ist weit entfernt von dem inhaltlichen Niveau, welches der fachliche Hintergrund der Autorin suggeriert. Das ist schon nach einem schnellen Anblättern klar, ebenso mit einem genaueren Blick auf die Buch-Rezensionen. "Wirkt wie eine laienhafte Hausarbeit"  heißt es da, "grauenvoll platte Allgemeinplätze ohne Substanz" oder zusammengefasst "einfach nur schlecht".

Im Durchschnitt haben Leoni Herzigs Ratgeber trotzdem durchweg überragend gute Bewertungen. Das ergibt sich allerdings nicht aus der Qualität der Inhalte, die je nach Buch sehr offensichtlich entweder schlecht übersetzt sind oder von Textern für Kleinstvergütungen aus anderen Quellen zusammengeschrieben wurden. Vielmehr werden die wenigen "echten" Rezensionen ausgeglichen durch eine Vielzahl von eingekauften Bewertungen. Das Ergebnis sieht man in den Rezensionsbereichen oder auch auf den Profilen von zahlreichen Rezensenten bis in die Amazon Top 100, bei denen mehr als ein Dutzend "rezensierte" Ratgeber innerhalb einer Woche keine Ausnahme sind.

Kindle Store in fester Hand der Fake-Ratgeber

Ratgeber-Sektion im Kindle Store

Keine Ausnahme ist auch "Leoni Herzig". Die Top-Positionen in der Ratgeber-Ecke des Kindle Store sind fest in der Hand von Fake-Konstrukten. Da gibt eine studierte Ernährungswissenschaftlerin nur scheinbar fundierte Empfehlungen zu Intervallfasten und Low-Carb-Ernährung, ein studierter Tierpsychologe und hauptberuflicher Hundetrainer schreibt über Welpenerziehung – und eine junge Mutter gibt ihre Erfahrungen mit gesunder Nahrung für Babys und Kleinkinder weiter. Von psychischen Erkrankungen bis Kleinkindern ist kein Themenfeld zu sensibel fürs Schema F: Ein Autorenprofil mit einem zum Themenfeld passenden Lebenslauf und hübschen Fotos aus Stock-Image-Archiven, schnell übersetzte oder zusammenkopierte Texte in XL-Schriftgröße, ein paar Dutzend eingekaufte 5-Sterne-Bewertungen – fertig ist das aus Lesersicht fachlich hochwertige Ratgeber-Gesamtpaket.

Amazon verdient prächtig und sieht keine Probleme

Die Urheber der Fake-Ratgeber verdienen hervorragend mit dem Geschäftsmodell. Und auch Amazon verkauft im Zweifel lieber ein Buch mehr als eines weniger, explizite Richtlinien für Ratgeber gibt es ebensowenig wie ein Verbot für komplett zusammengelogene Lebensläufe von vermeintlichen studierten Experten. Eine Amazon-Sprecherin erklärte uns auf Anfrage vielsagend, "die Verwendung von Stockbildern ist nicht ausdrücklich untersagt".

Betrug am Leser und an Verlagen

"Echte" Ratgeber sind kaum sichtbar

Erster Verlierer des Ratgeber-Karussels im Kindle Store ist der Leser. Ihm wird durch herbeigedichtete Studienabschlüsse und Berufserfahrungen der Autoren eine inhaltliche Kompetenz weisgemacht, die es schlicht nicht gibt. Und der sich bei Themen wie Babynahrung und Selbsthilfe bei depressiver Verstimmung wider besseren Wissens von schlecht übersetzten oder schnell zusammenkopierten Wiki-Texten leiten lässt.

Aber auch renommierte Ratgeber- und Wissenschaftsverlage gehören zu den Geschädigten. Dort steckt man viel Geld und KnowHow in die Publikation von thematisch ähnlich gelagerten Büchern "echter" Experten, die allerdings im Kindle Store kaum sichtbar sind. Woran sich auch nichts ändern wird, solange die Urheber der Fake-Ratgeber aus Schreibfabriken mit ihren gefälschten Lebensläufen und ihren eingekauften Top-Rezensionen eine gleichartige Qualität und Kompetenz für einen Bruchteil des Kaufpreises suggerieren können.

Auch interessant für dich

Ähnliche Beiträge


Kommentare


Martina Roters 21. April 2020 um 16:54

Vielen Dank, dass Sie das Publikum aufklären und vor allem auch Amazon kritisieren. Mein Sohn ist Sachbuchautor (Diplom-Psychologe) und muss mit genau solchem Schund konkurrieren. Und Schund ist es, wenn völlig unwissenschaftliche Machwerke Menschen, die auf der Suche nach Rat sind, das Geld mit beliebigen und manchmal sogar kontraproduktiven Ratschlägen aus der Tasche ziehen.
Mein Rat an alle Leser: Kaufen Sie keine Bücher mehr ohne Literatur/Quellenverzeichnis!
Denn sonst wird es bald überhaupt keine lesenswerten Bücher mehr geben! Denn wer mag ein Jahr Arbeit investieren und dann (fast) nichts mehr verkaufen? Selbst gutes Marketing vermag gegen diese "Konkurrenz" nichts mehr auszurichten.

Antworten

Irene Gronegger 1. Mai 2020 um 14:07

Ich habe das Thema vor einem Jahr auch aufgegriffen. Mich wündert, dass es keine größeren Kreise zieht.

Noch etwas dazu: "Die Urheber der Fake-Ratgeber verdienen hervorragend mit dem Geschäftsmodell." Die eigentlichen Urheber der E-Books sind unterbezahlte Ghostwriter, die ihre Arbeit zum Billigpreis auf Texter-Plattformen und in Facebook-Gruppen anbieten. Die Kindle-Business-Betreiber und Profiteure sind überwiegend junge Männer, die sich für besonders raffiniert halten und glauben, dass "reich werden ohne Arbeit" langfristig funktioniert.

Antworten

David 10. Juni 2020 um 4:04

Ich habe vor, dagegen vorzugehen.
Verbreitung dieser Thematik um genügend Betroffene ausfindig zu machen, die bereit sind zu klagen.
Ich habe das Gefühl jeder, dass jeder, der auf auf diesen Fall stößt sich zwar empört, aber irgendwas dagegen tun, kommt anscheinend nicht in Frage….
Vielen Dank für diesen Artikel👍

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*